Rainer Maria Rilke
Der pragerdeutsche Dichter wurde vor 150 Jahren geboren, er war ein beispiellos wortgewandter Anwalt aller Sensiblen
Ronald Pohl
9. M;rz 2025, 13:56
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Rilke Jubil;um Lyrik
Der Seher und Dichterprophet der gehobenen St;nde nicht nur in deutschsprachigen Landen: Rainer Maria Rilke (1875–1926), hier im Waffenrock anno 1916 (er musste nicht an die Front).
IMAGO/Heritage Images
Als ;rmster aller Armen f;hrte Rilke ein reichlich komfortables Leben. Damen von Stand r;umten ihm auf ihren G;tern Wohnrecht ein. Am liebsten blieb der erfolgreichste Lyriker des fr;hen 20. Jahrhunderts ;berhaupt mit sich allein: Rainer Maria Rilke, der eigentlich auf den Namen Ren; getauft war, sch;tzte – ob in Duino nahe Triest oder im Schweizer Wallis – die Behaglichkeit von Turmzimmern. In diesen skandierte er ungest;rt Verse. Als Dichter mit feinem Sensorium war Rilke vornehmlich Empfangender. Er sammelte allen Ernstes "Signale aus dem Weltraum" und pflegte diese, wiewohl von schm;chtiger Statur, "dr;hnend zu beantworten".
Rilkes Dinggedichte, vor allem aber auch die meditative Gewalt der Duineser Elegien, wiesen Generationen den Trampelpfad zur Poesie. Binnen kurzem, oft innerhalb weniger Hebungen und Senkungen, gelangt der Pragerdeutsche vom Einzelnen zum Allgemeinsten. Jede noch so kleine Beobachtung weitet sich, wird – unter dem Zutun von Rhythmus und Melodie – zum Gegenstand von Magie.
Bei Rilke gibt es kaum Vorl;ufiges, nichts Halbes. Die Sprache habe ihm, dem Seher, eine merkw;rdige Verantwortung auferlegt: Ihm sei, unter Androhung v;lligen Verstummens, untersagt, mit "leichtem und gef;lligem und gelegentlichem hervorzutreten". Sich selbst predigte Rilke eine Askese, die er nicht unbedingt einhielt. Sein Genie bestand darin, sich gemeint zu f;hlen. Wenn ihm – in dem weltber;hmten aus den Neuen Gedichten (1907/08) – der kopflose Torso Apollos begegnete, so wusste er sich von dem Bildwerk unabweisbar angeblickt.
Der Torso gl;ht wie ein "Kandelaber". Und obwohl er doch keine Aug;pfel besitzt, ist er selbst das Auge, das ihm fehlt. Als Ganzer blickt er tiefer als jedes gew;hnliche Organ. Rilkes streng gebautes Sonett ("Wir kannten nicht sein unerh;rtes Haupt …") gipfelt in dem ;berrumpelnden Appell an den betrachteten Betrachter: "Du musst dein Leben ;ndern." Und so wird man im kolossalen Gesamtwerk dieses lebenslang mit sich Hadernden einen Zug zur Formel finden, zur verbl;ffenden Einsicht, zur bannenden Sentenz.
";berstehn ist alles"
"Wer spricht von Siegen? ;berstehn ist alles." So singen auch die "Frauen an den Dichter": "Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir; / denn wir sind nichts als solche Seligkeit."
Man muss Rilke schon wohlgesonnen sein, um sich der Suggestivit;t solcher Beschw;rungen zu ergeben: blindlings. Hunderttausende Leserinnen (weniger die Leser) folgten Rilke bereitwillig in die Sph;ren des nie zu Wissenden, jedoch mit allen Sinnen zu Erf;hlenden. Manche standen, indem sie die Verse ihres Lieblingsdichters wie wohlige Seufzer ausstie;en, knietief im Kitsch.
Rilke war, obzwar sorgsam auf das Image eines "Po;te maudit" bedacht, ein Erfolgsautor: das beste Pferd im Insel-Stall seines Verlegers Kippenberg. Seine kleine, stark rhythmisierte Kriegserz;hlung des Cornet fand Eingang in zehntausende Tornister, poetische Kraftnahrung f;r das Ausharren an der Front. Als Zeitgenosse war Rilke regsam: In der K;nstlerkolonie von Worpswede traf er nicht nur seine nachmalige Gemahlin Clara Westhoff, eine begnadete Bildhauerin. Im Weserland machte er sich Praktiken der Lebensreformer zu eigen: Dann ging er barfu; spazieren und a; wie ein Eichhorn N;sschen.
;berhaupt zog es ihn in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu den starken, den ;berragend begabten Frauen seiner Mitwelt. Dem Sonderling Nietzsche hatte die famose Lou Andreas-Salom; noch einen Korb gegeben; der blutjunge Rilke traf bei ihr auf Anhieb auf Verst;ndnis und fand bei ihr Geh;r.
Trotz Lampenfiebers
Rainer Maria Rilke war, ganz entgegen dem Anschein, wirkungsbewusster ;sthet. Seinen Vortragsstil brachte er trotz gr;sslichen Lampenfiebers behutsam auf Vordermann. Sandra Richter hat in ihrer aktuellen, leichth;ndig erz;hlten Rilke-Biografie (Untertitel: "Das offene Leben") lauter Indizien zusammengetragen: Noch das Zuf;llige, unklar Gemutma;te entspringt bei dem Planungstechniker Rilke genauem Kalk;l.
Sein Egoismus zwang ihn zu nomadischer Lebensf;hrung, in Paris, wo er sich als Privatsekret;r des Kunststars Auguste Rodin verdingte und mit den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1919) den modernen Roman miterfand. Dieser enth;lt den Befund einer epochentypischen Nervosit;t.
Was schwer wiegt und die Lekt;re der Rilke-Schriften mitunter zum sauren Gesch;ft macht: Rilke, dessen Geburt sich heuer zum 150. Mal j;hrt, ging vielleicht nicht in den Keller lachen, sondern wich zu besagtem Zweck wom;glich in sein Turmzimmer in Muzot (CH) aus. Dort verbrachte er, bereits schwer leuk;miekrank, seine letzten Jahre, inmitten von Rosen. Ein Rosendorn soll der Legende nach sein Ableben 1926 bef;rdert haben.
Anderen spendete Rilke Trost: Seine Korrespondenz nahm gigantische Ausma;e an. Leben und Tod empfand er, entgegen normal sterblicher Evidenz, miteinander verquickt. Vor Technik und Fortschritt war ihm schrecklich bange. Der vielleicht letzte deutschsprachige Dichter, der als Prophet f;r alle dichtete und sang, empfand sich als der "verschwiegene Mitwisser alles Lebendigen". Rilke-Gedichtb;nde findet man gelegentlich noch in den schmalen Lyrikecken unserer Buchhandlungen, meist in Auswahl der angeblich "sch;nsten".
Eine Ahnung von Sch;nheit den gehobenen St;nden vermittelt zu haben, darin besteht Rilkes nicht geringes Verdienst. Auch heute noch. (Ronald Pohl, 8.3.2025)
Sandra Richter, "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben. Eine Biografie". € 28,80 / 480 Seiten. Insel-Verlag, Berlin 2025
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