Blick in die Abgruende eines Seelenaufschlitzers



Oskar Kokoschka: Blick in die Abgr;nde eines Seelenaufschlitzers
Mit R;ntgenblick portr;tierte der K;nstler die Wiener Gesellschaft. Der Retrospektive im Leopold-Museum gelingt dank dokumentarischen Materials ein vielschichtiges Bild – Untiefen inbegriffen

Kathrin Heinrich
7. April 2019, 08:00

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Das Innere nach au;en zu kehren – wie in dem 1910 gemalten Bildnis von Bessie Bruce, der Freundin des Architekten Adolf Loos -, darauf verstand sich Oskar Kokoschka.

Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB / J;rg P. Anders © Fondation Kokoschka / Bildrecht Wien, 2019

Kokoschkas "Selbstbildnis eines 'entarteten K;nstlers'" von 1937.

Foto: Fondation Oskar Kokoschka/ DACS 2015. Private Collection on long term loan to the National Galleries of Scotland

Kokoschkas Plakat f;r sein Drama "M;rder, Hoffnung der Frauen" von 1909.

Foto: Leopold Museum/Manfred Thumberger
Die Augen verschattet, das Lid h;ngend, blasse Haut mit tiefen Furchen: Es war ausdrucksstark und feinnervig, wie Oskar Kokoschka (1886-1980) seinen F;rderer Adolf Loos 1909 portr;tierte. Als sch;n galt es nicht. "Seelenaufschlitzer" nannte man den Mitbegr;nder des ;sterreichischen Expressionismus spitz. Das Innere kehrte er mit groben Pinselstrichen nach au;en.


Viele dieser Portr;ts sind nun in der umfassenden Kokoschka-Retrospektive des Leopold-Museums zu sehen. Sein umfangreiches OEuvre spiegelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider und ist bis heute aktuell, stellt der Titel bereits klar: Oskar Kokoschka: Expressionist, Migrant, Europ;er.

Ein Ausstellungsunterfangen, f;r das es einen starken Partner brauchte. Gemeinsam mit dem Kunsthaus Z;rich bekamen die beiden H;user Leihgaben internationaler Sammlungen: beeindruckende, die eigenen Best;nden erweiternde Hauptwerke. So sind die Monumental-Triptychen Die Prometheus Saga (1950) und Thermopylae (1954) erstmals seit 1962 wieder gemeinsam zu sehen. F;r Wien wurde die Schau, die zun;chst in Z;rich Station machte, allerdings adaptiert. Die Kuratorin Heike Eipeldauer nimmt Kokoschkas Wiener Jahre und sein Verh;ltnis zur Stadt besonders in den Fokus. Gezeigt werden neben den Portr;ts auch ganz fr;he Werke: verspielte grafische Postkartenentw;rfe f;r die Wiener Werkst;tte (1908) zum Beispiel oder aquarellierte Aktstudien (1912), in deren kantigen, schroffen Kreideumrissen man Schieles Duktus zu erkennen meint.

Von Diskursen gepr;gt
Anliegen ist es auch zu zeigen, wie stark Kokoschka von den Diskursen im Wien der Jahrhundertwende gepr;gt war. Durchaus ;berraschend legt die Pr;sentation besonderen Wert auf die misogynen Theorien zum Geschlechterkampf Otto Weiningers und Ideen des Matriarchatsverfechters Johann Jakob Bachofen.

Oskar Kokoschka verarbeitet diese etwa im Drama M;rder, Hoffnung der Frauen, das 1909 skandal;s scheiterte. Das Plakat dazu erfindet die Piet;-Darstellung neu: Die Marienfigur wird zur Femme fatale mit dunkler M;hne und grellroten Lippen und ;berwindet so die Polarit;t von heroisierter Mutterfigur und sexualisierter Dirne.

Doch gerade im Blick auf sein Verh;ltnis zu den Frauen treten Kokoschkas eigene Untiefen zutage. Die Ambivalenz von theoretischer Begeisterung f;rs Matriarchat und Realit;t zeigt die Beziehung zu Alma Mahler. Zwei Jahre sind sie ein Paar. Sie inspiriert ihn. Auf einer gemeinsamen Dolomitenreise entsteht in Gr;n- und Blaut;nen die Landschaft Tre Croci (1913) – ein Schl;sselwerk, das sp;ter Teil der "Entartete Kunst"-Ausstellung sein wird.

Obsessionen in Fell
Doch Kokoschka ertr;gt Mahlers Selbstst;ndigkeit, ihre Ablehnung traditioneller Rollenbilder nicht. Als sie heimlich abtreibt, meldet er sich zum Kriegsdienst. Er ;berlebt Genickschuss und Bajonettstich, ;bersiedelt nach Dresden und gibt 1918, voller Obsession f;r Mahler, eine lebensgro;e Alma-Puppe in Auftrag. Eine mit Teddyfell ;berzogene Kopie der grobschl;chtigen Figur sitzt nun im Museum. Geschickt wird hier nun Hermine Moos, die die Puppe herstellte, in den Vordergrund ger;ckt. Kokoschkas Fetischobjekt wird so zum kollaborativen Produkt mehrerer Personen. In das Bild des Matriarchatsanh;ngers will die Episode dennoch nicht passen.


Auch inhaltlich dichte R;ume zu den Kriegs- und Nachkriegsjahren im Exil zeigen Kokoschka als ambivalente Pers;nlichkeit: Auf der einen Seite steht das humanistische Engagement, das Einstehen f;r die europ;ische Idee, die antinationalistische Haltung, auf der anderen steht Kokoschka, der begnadete Selbstinszenierer, der es versteht, sich zu vermarkten, und sich mit schillernden Pers;nlichkeiten umgibt. Dass dabei Opportunismus Ideale schl;gt, wirft ihm der Wiener Ludwig M;nz vor: "Glaube mir, weder Karl Kraus noch Adolf Loos h;tten f;r Deine neuen Freunde irgendein Verst;ndnis!"

Es ist die St;rke der Schau, der expressiven Kunst viel Dokumentarisches zur Seite zu stellen. So entsteht ein differenziertes Bild von einem, der genau wie die von ihm Portr;tierten voller Widerspr;che, Zweifel, aber auch Eitelkeiten war. (Kathrin Heinrich, 6.4.2019)


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Oskar Kokoschka – Blick in die Abgr;nde eines Seelenaufschlitzers – Von Kathrin Heinrich
16. April 2019 von ralphbutler

Mit R;ntgenblick portr;tierte der K;nstler die Wiener Gesellschaft. Der Retrospektive im Leopold-Museum gelingt dank dokumentarischen Materials ein vielschichtiges Bild – Untiefen inbegriffen Die Augen verschattet, das Lid h;ngend, blasse Haut mit tiefen Furchen: Es war ausdrucksstark und feinnervig, wie Oskar Kokoschka (1886-1980) seinen F;rderer Adolf Loos 1909 portr;tierte. Als sch;n galt es nicht. „Seelenaufschlitzer“ nannte man den Mitbegr;nder des ;sterreichischen Expressionismus spitz. Das Innere kehrte er mit groben Pinselstrichen nach au;en. Viele dieser Portr;ts sind nun in der umfassenden Kokoschka-Retrospektive des Leopold-Museums zu sehen. – derstandard.at

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Das 20. Jahrhundert, erz;hlt von Oskar Kokoschka
Eine gro;e Schau fasst den schwer Fassbaren Oskar Kokoschka als Europ;er, als Ausnahmebegabung und als Meister der Selbstinszenierung zusammen.
Oskar Kokoschka, "Dresden, Augustusbr;cke mit R;ckenfigur", 1923
Oskar Kokoschka, "Dresden, Augustusbr;cke mit R;ckenfigur", 1923
5. April 2019,
17:20 Uhr




Oskar Kokoschka hat wie wenige andere das 20. Jahrhundert als Maler begleitet. Sein Werk, gro; geworden in der Wiener Moderne, legte bis zu seinem Tod 1980 in steter Unverkennbarkeit weite Strecken zur;ck - geografisch, technisch, inhaltlich. Im Wiener Leopold Museum, selbst Heimat wesentlicher Kokoschka-Werke, wird ab morgen, 6. April, eine Personale gezeigt: "Expressionist, Migrant, Europ;er."

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Sein Ruf als "Oberwildling" und als "Seelenaufschlitzer", sein Schicksal als Fl;chtender und "entarteter K;nstler", sp;ter als umworbener Polit-Portr;tist, sein Engagement als Pazifist, das bis zum Aktivismus reichte, sein zwiesp;ltiges Verh;ltnis zum Heimatland ;sterreich und die Nahtlosigkeit, mit der die harsche Kritik am jungen Revoluzzer in die Nazi-Diktion ;berging, nicht zuletzt: sein eigenwilliger Zugang zur Darstellung von Erotik und sexueller Liebe, ganz im Einklang und doch hinauswachsend ;ber die Themen seiner Zeit, die Paradigmenwechsel der Moderne - all das entsteht in 260 Werken gleichsam als alternative, vor allem aber eigentliche Geschichte seines, des 20. Jahrhunderts, vor dem Auge des Besuchers.

"Die Themen seiner Anfangszeit tauchen in seinem gesamten Werk immer wieder auf", erkl;rt Kuratorin Heike Eipeldauer. "Geschlechterkampf, Psychoanalyse, kindliche Sexualit;t, die Erfindungen, etwa das R;ntgen." Als Portr;tist und Selbst-Portr;tist bet;tigte er sich selbst als Durchleuchter, schon fr;h, als seine charakteristische kristalline Maltechnik aus ungemischten Farben sich erst langsam zu entwickeln begann. "Viele der Portr;tierten haben sich nicht wiedererkannt", so Eipeldauer, weshalb Adolf Loos, der eine Ausfallshaftung f;r Kokoschka ;bernommen hatte, einen wesentlichen Teil seiner Gem;lde dieser Zeit erhielt. Kokoschkas Portr;ts von Loos selbst sowie seiner Partnerin, der britischen T;nzerin Bessie Bruce, werden fast nie gemeinsam aus der Berliner Nationalgalerie verliehen.

Eindrucksvolle Leihgaben aus vielen L;ndern
Leihgaben ziehen sich vom Fr;h- zum Sp;twerk - und nicht immer handelt es sich um Gem;lde. Im ersten Raum wird man von vorrangig angewandten Arbeiten empfangen - etwa das wichtige K;nstlerbuch der "Tr;umenden Knaben", aber auch Postkarten, die der junge Kokoschka f;r die Wiener Werkst;tte anfertigte oder ein Kleid, das er "seiner" Lilith Lang entwarf. Fr;he Akte auf Papier lassen erkennen, wie selbstverst;ndlich er, 1912 und 1913, den dekorativen Jugendstil hinter sich lie; und leichtf;;ig Raum f;r das H;ssliche beanspruchte. Die Kritiken waren vernichtend, doch die Arbeiten verkauften sich rasch. Viele der K;ufer waren K;nstler.

Oskar Kokoschka, "Selbstbildnis eines ,entarteten K;nstlers'", 1937.
Oskar Kokoschka, "Selbstbildnis eines ,entarteten K;nstlers'", 1937.
© ational Galleries of Scotland. On loan from a private collection Foto: National Galleries of Scotland © Fondation Oskar Kokoschka/Bildrecht Wien, 2019
Aus Schottland kommt das bekannte "Selbstbildnis als entarteter K;nstler", aus der Staatsgalerie Stuttgart der eigentlich bereits abstrakte "Nieuwe Markt" aus 1925, aus dem Museum Folkwang in Essen die "Augustusbr;cke mit R;ckenfigur" (1923) mit ihrer an Farbfeldmalerei grenzenden Ausf;hrung, aus dem Lehmbruck Museum in Duisburg die "Spielenden Kinder" aus 1909, deren s;;-beh;tete und doch von Ankl;ngen an Missbrauch gezeichnete Darstellung eines Geschwisterpaares einen Ausstellungsbesucher in Wien zu einer Attacke auf das Bild verleitete. Wie subtil kritisch sich Kokoschka mit den verbreiteten p;dophilen Neigungen in seinem Bekanntenkreis malerisch auseinandersetzte, ist ein Kapitel f;r sich, das nicht zuletzt im Katalog aufgearbeitet wird.

Eigentlich nie zusammen zu sehen sind die beiden raumf;llenden Triptychen "Prometheus" und "Thermopylae" aus den fr;hen 50er-Jahren, als Kokoschka sich auf die Antike verlegte, um das europ;ische Wertesystem zu reflektieren. Dem politischen Kokoschka ist ;berhaupt ein gro;er Teil der Ausstellung gewidmet. Bereits in Prag z;hlte er ab 1934 zu den wichtigen Identifikationsfiguren f;r Exil-Verb;nde, befreundete sich mit pazifistischen Gleichgesinnten, w;hrend er in der Heimat in der "entarteten Kunst"-Schau verfemt wurde. In der Londoner U-Bahn lie; er pazifistische Plakate affichieren, stellte auch seine Gem;lde in den Dienst deutlicher Botschaften, fast comichafter Abges;nge, nicht zuletzt auf die Verfasstheit seiner ;sterreichischen Heimat. Immer war er, der Kosmopolit, der das Reisen wie ein Lebenselixier trank, und einige seiner revolution;rsten Techniken in der Landschafts- und St;dtemalerei entwickelte, ;berzeugter Europ;er.

"Ich finde, dass dieser Homo Politicus in Zeiten der zunehmenden Nationalismen die richtige Antwort ist", erkl;rt Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger. "In diesem Europa mit Aufl;sungserscheinungen ist er aktueller denn je." F;r den Sammler Rudolf Leopold sei Kokoschka von gro;er Bedeutung gewesen, er selbst erstand acht Gem;lde, ;ber Dauerleihgaben konnte die hauseigene Sammlung auf 14 St;ck ausgeweitet werden. Nach der aktuellen Retrospektive - die erste in diesem Umfang seit 30 Jahren - werden sie in die erst k;rzlich neu aufgestellte Dauerausstellung Eingang finden, anstelle des derzeit eingerichteten Raumes zu Arnold Sch;nberg.


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