Steckruebenwinter

Steckr;benwinter

Bekanntmachung der Kartoffelrationierung, Pirmasens 1917

Kohlr;benkarte, Erfurt 1917
Der Steckr;benwinter (auch Kohlr;benwinter und Hungerwinter genannt) bezeichnet eine Hungersnot im Deutschen Reich im Winter 1916/17 w;hrend des Ersten Weltkrieges, ausgel;st durch kriegswirtschaftliche Probleme und die britische Seeblockade in der Nordsee.


Hungersnot w;hrend der Ersatzwirtschaft
Bis zum Beginn des Krieges importierte das Deutsche Reich etwa ein Drittel seiner Lebensmittel. Es war damals weltweit der gr;;te Importeur von Agrarprodukten.[1]

Gro;britannien hatte nach Kriegsbeginn 1914 ein Handelsembargo gegen Deutschland erlassen und eine zunehmend wirksame Handelsblockade zur See errichtet, die erst 1919 aufgehoben wurde. Ebenso fehlten die Importe aus Russland. Im Januar 1917 stoppten schlie;lich auch die USA den heimlichen Handel mit Deutschland ;ber neutrale Staaten.

Ein noch wichtigerer Grund f;r den Mangel waren die ;berbordende B;rokratie und kontraproduktive Ma;nahmen der Preis- und Verteilungspolitik.[2] Es kam zur Lebensmittelrationierung und Zwangsbewirtschaftung. Der deutschen Landwirtschaft mangelte es zudem an Arbeitskr;ften, Zugtieren und Kunstd;nger; ferner gab es Transportprobleme.[3][4][5]

; Hauptartikel: Deutsche Wirtschaftsgeschichte im Ersten Weltkrieg

Kohl- bzw. Steckr;ben
Der Schwarzmarkt spielte nur eine geringe Rolle, wichtiger wurden Hamsterfahrten aufs Land, die zu teils scharfen Gegens;tzen zwischen Stadt- und Landbewohnern f;hrten.[6] Obwohl diese Fahrten massenhafte Verst;;e gegen staatliche Bestimmungen mit sich brachten, beteiligten sich auch die Kommunen an ihrer Organisation.[7]

In dieser Zeit trat Konrad Adenauer als Erster Beigeordneter der Stadt K;ln hervor, indem er die Versorgung der Einwohner mit Ersatzlebensmitteln wie „K;lner Brot“ aus Reis-, Gersten- und Maismehl oder mit Graupen sicherte. Diese Lebensmittelsurrogate waren wenig schmackhaft, weshalb der daraus resultierende Spitzname „Graupenauer“ durchaus nicht schmeichelhaft gemeint war.[8] Die Erfindung und der Vertrieb solcher Lebensmittelsurrogate, die bis ins vierte Kriegsjahr hinein nicht der Bewirtschaftung unterlagen, war ein gutes Gesch;ft. Anfang 1918 gab es in Deutschland 11.000 solcher Produkte.[9]

Im Mai 1916 wurde das Kriegsern;hrungsamt gegr;ndet, das direkt dem Reichskanzler unterstand. Es war f;r die Sicherstellung der Versorgung der Bev;lkerung zust;ndig und band s;mtliche Interessenten ein: ein klassisches Beispiel f;r den deutschen Kriegskorporatismus der Jahre 1914 bis 1918. Um den Burgfrieden nicht zu gef;hrden, wandte das Kriegsern;hrungsamt auch drastische Ma;nahmen an, die ihm den Vorwurf des „Staatssozialismus“ eintrugen, etwa eine Erh;hung der Rationen f;r Schwer- und Schwerstarbeiter und eine direkte Belieferung der R;stungsbetriebe mit Lebensmitteln, weil man den Arbeitern das Schlangestehen ersparen wollte.[10] Au;erdem wurde die Verf;tterung von Kartoffeln verboten. Die Beh;rden k;mpften gegen das Verheimlichen von Vorr;ten bei den Produzenten an.[3] Trotz dieser Anstrengungen scheiterte das Kriegsern;hrungsamt mit dem Versuch, eine Hungersnot zu verh;ten.

Wegen der fr;hen Rationierung von Getreideprodukten und des fast v;lligen Fehlens von Fleisch- und Wurstwaren im Angebot stieg der Kartoffelverbrauch Anfang 1916 auf das zweieinhalbfache des Vorkriegsniveaus. Ein verregneter Herbst 1916 verursachte eine Kartoffelf;ule, die die Ernte etwa auf die H;lfte des Vorjahres reduzierte.[11] Ern;hrungswirtschaftlich war der Krieg f;r Deutschland laut Hans-Ulrich Wehler schon 1916 verloren.[12] Die Steckr;be, eine Kohlart, wurde f;r breite Kreise der Bev;lkerung wichtigstes Nahrungsmittel: Man ern;hrte sich von Steckr;bensuppe, -auflauf, -koteletts, -pudding, -marmelade und Steckr;benbrot.[13][14] Mit dem Spitznamen „Hindenburg-Knolle“ wurde sie nach dem damaligen deutschen Oberbefehlshaber Paul von Hindenburg benannt.[15] Am 4. Dezember 1916 ordnete das Kriegsern;hrungsamt zur Sicherung der Volksern;hrung die Beschlagnahme aller Vorr;te an.[16]

Im Januar und Februar 1917 kam es zu einem K;lteeinbruch (Daten). Viele Wohnungen wurden mangels Kohle kaum mehr beheizt. Teile der Bev;lkerung wurden durch Suppenk;chen notd;rftig versorgt.

Im Fr;hjahr 1917 sank die Versorgung der Bev;lkerung mit Lebensmitteln auf ihren Tiefpunkt. Die Ernte im Herbst brachte eine leichte Verbesserung.[17] Allerdings war sie auf die H;lfte eines normalen Ertrags gesunken. Gleichzeitig hatten die zugeteilten Lebensmittel durchschnittlich 1.000 kcal.[3] Die katastrophale Ern;hrungslage trug zu der Streikwelle bei, die, ausgehend von Berlin und Leipzig, die deutsche R;stungsindustrie ab April 1917 empfindlich traf.[18][19]

In Deutschland starben von 1914 bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen von Unterern;hrung.[20] Gesundheitliche M;ngel wurden dadurch verst;rkt, dass die K;rperhygiene eingeschr;nkt war, da pro Kopf nur noch 50 g Seife im Monat gestattet waren, die mit maximal 20 Prozent Fettgehalt F;llstoffe wie Ton und Speckstein enthielt und nur ;ber Seifenkarten zu beziehen war.[21] Ab Fr;hjahr 1918 folgte die Spanische Grippe in drei Wellen, von denen die zweite (im Herbst 1918) und die dritte (1919) zus;tzlich zum Hunger durch fehlende Lebensmittelimporte durch das noch fortbestehende britische Handelsembargo viele Menschenleben forderte.

Siehe auch
Liste von Hungersn;ten
Schweinemord
Literatur
Dieter Baudis: „Vom Schweinemord zum Kohlr;benwinter“. Streiflichter zur Entwicklung der Lebensverh;ltnisse in Berlin im Ersten Weltkrieg (August 1914 bis Fr;hjahr 1917). In: Jahrbuch f;r Wirtschaftsgeschichte. Sonderband 1986: Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Berlins vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Akademie-Verlag, Berlin 1986, S. 129–152.
Gustavo Corni: Hunger. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklop;die Erster Weltkrieg. Sch;ningh (UTB), Paderborn 2009, S. 565 ff.
Arnulf Huegel: Kriegsern;hrungswirtschaft Deutschlands w;hrend des Ersten und Zweiten Weltkrieges im Vergleich. Hartung-Gorre, Konstanz 2003, ISBN 3-89649-849-5.
Gisela G;ndell: Die Organisation der deutschen Ern;hrungswirtschaft im Ersten Weltkrieg. Leipzig 1939.
Anne Roerkohl: Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen w;hrend des Ersten Weltkriegs. (= Studien zur Geschichte des Alltags. Band 10). Stuttgart 1991.
Hans-Heinrich M;ller: Kohlr;ben und K;lberz;hne. Der Hungerwinter 1916/17 in Berlin. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenst;dtischer Bildungsverein). Heft 1, 1998, ISSN 0944-5560, S. 45–49 (luise-berlin.de).
Weblinks
Der „Kohlr;benwinter“ 1916/17 im Lebendigen Museum Online (LeMO)
Florian Stark: Wie der „Steckr;benwinter“ zum Trauma wurde. In: Welt.de, 11. Februar 2014
Einzelnachweise
 Der Kampf in den K;chen. Spiegel Online, 21. M;rz 2004
 Franziska Dunkel: Versorgung der Zivilbev;lkerung. In: Fastnacht der H;lle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Haus der Geschichte Baden-W;rttemberg, Stuttgart 2014, S. 110.
 Kohlr;benwinter. Deutsches Historisches Museum.
 Kartoffelversorgung im Ersten Weltkrieg. Deutsches Historisches Museum.
 Die Seeblockade. Deutsches Historisches Museum.
 Henning K;hler: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte, Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002, S. 112 f.
 Gustavo Corni: Hunger. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz (Hrsg.): Enzyklop;die Erster Weltkrieg. Sch;ningh (UTB), Paderborn 2009, S. 565 ff.
 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952, DVA, Stuttgart 1986, S. 152 f.
 Gustavo Corni: Hunger. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklop;die Erster Weltkrieg. Sch;ningh (UTB), Paderborn 2009, S. 565.
 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gr;ndung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. C.H. Beck Verlag, M;nchen 2003, S. 62.
 Der „Steckr;benwinter“ und der Kampf an der sogenannten „Heimatfront“. (online)
 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gr;ndung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. C.H. Beck Verlag, M;nchen 2003, S. 61.
 Die Bev;lkerung hungert – Der Kohlr;benwinter 1916/1917. paedagogik.net, archiviert vom Original (nicht mehr online verf;gbar) am 24. September 2015; abgerufen am 23. Januar 2015.
 Walter Koch: Kohlr;benwinter. Erinnerungen von Walter Koch (* 1870) aus Dresden, Chef des S;chsischen Landeslebensmittelamtes. Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 23. Januar 2015.
 Wruke. Stolpersteine der deutschen Sprache (Wikibooks)
 Johannes Ebert (Red.): Die Chronik: Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute. Wissen-Media-Verlag, G;tersloh 2006, ISBN 978-3-577-14641-8, S. 117.
 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gr;ndung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. C.H. Beck Verlag, M;nchen 2003, S. 63.
 Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933 (= Die Deutschen und ihre Nation, Band 4). Siedler, Berlin 1994, S. 141 f.
 Petra Weber: Gescheiterte Sozialpartnerschaft – Gef;hrdete Republik? Industrielle Beziehungen, Arbeitsk;mpfe und der Sozialstaat. Deutschland und Frankreich im Vergleich (1918–1933/39). Oldenbourg, M;nchen 2010, S. 165 ff.
 Gustavo Corni: Hunger. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklop;die Erster Weltkrieg. Sch;ningh (UTB), Paderborn 2009, S. 565.
 Sebastian D;rfler: Mangel. In: Fastnacht der H;lle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Haus der Geschichte Baden-W;rttemberg, Stuttgart 2014, S. 116–119.


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