Nuernberger Prozess
Nuernberger Prozess
bearbeitet von
Prof. Dr. Peter Reichel
Deutschland 1945–1946
Verbrechen gegen den Frieden
Kriegsverbrechen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Der internationale Milit;rgerichtshof gegen Hermann G;ring u.a.
Deutschland 1945/1946
1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung
Schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die politische und milit;rische F;hrung Deutschlands schwerster Verbrechen beschuldigt. An einer institutionellen Strafverfolgung hatten die Alliierten zun;chst allerdings nur geringes Interesse. Das Desaster ihrer Kriegsverbrecherpolitik nach dem Ersten Weltkrieg wirkte nach. Schwierigste strafrechtspolitische Fragen mussten zuvor entschieden werden. Und das Ende des Krieges war noch gar nicht absehbar: Welche Personen sollten, welche konnten sp;ter ;berhaupt angeklagt werden? Auf welche v;lkerstrafrechtlichen Tatbest;nde wollte man die Anklage beziehen? Auf welche Beweismittel die Urteile st;tzen? Wer sollten die Ankl;ger, wer die Richter sein? Die wichtigste Frage war deshalb zun;chst die: Sollte man angesichts des Ausma;es der Gewaltverbrechen Deutschlands kurzen Prozess machen mit den Beschuldigten? Oder war es f;r die Aufkl;rung der Deutschen und auch f;r das Rechtsempfinden der Welt;ffentlichkeit und die Fortentwicklung des V;lkerstrafrechts kl;ger und politisch weitsichtiger, die Hauptschuldigen vor ein internationales Strafgericht zu stellen, so umstritten dessen Legitimation auch sein mochte?
Als treibende Kraft erwiesen sich seit Kriegsbeginn die in London ans;ssigen Exilregierungen. Zumal sie sich nicht mit der politisch kontroversen Frage nach dem Umgang mit den Hauptkriegsverbrechern auseinandersetzen mussten, sondern mit dem Gesamtkomplex der Gewaltverbrechen selbst. So begannen sie fr;h, Nachrichten und Informationen aus ihren L;ndern zu sammeln, ;ber Deportationen, Zwangsverpflichtungen, Massenvernichtungen und andere Gewaltverbrechen. Aus diesen Aktivit;ten ging Anfang 1942 die Inter-Alliierte Kommission (St. James‘ Declaration) hervor; an ihr beteiligten sich zun;chst die Repr;sentanten von neun L;ndern. Wenig sp;ter wurde sie auf Initiative der USA und Gro;britanniens erweitert und umbenannt in: United Nations Commission for the Investigation of War Crimes (UNWCC). Sie war allerdings eine politisch eher schwache Einrichtung; ihre Mitglieder verf;gten als Regierungsvertreter im Exil nur ;ber eine befristete Legitimation. (Delbr;ck/Wolfrum 2002, 1027ff.; Taylor 1994, 42ff.)
Die Sowjetunion beteiligte sich nicht. Sie richtete eine eigene staatliche Kommission ein zur Verfolgung von „Verbrechen der deutschen faschistischen Eindringlinge“. Die Prozesse in Krasnodar im Juli und in Charkov im Dezember 1943 waren die ersten Verfahren. Sie sollten vor allem demonstrieren, dass die Sowjetunion rechtsstaatlichen Standards entsprach. Die weder beweis- noch urteilsoffenen Verfahren konnten allerdings nicht dar;ber hinwegt;uschen, dass sie in der Nachfolge der Schauprozesse Stalins aus den 1930er Jahre standen. (Hilger 2006)
Churchill war diesbez;glich zwar ehrlicher als Stalin; in seiner Skrupellosigkeit gegen;ber Deutschland unterschied er sich allerdings nicht von ihm und erkl;rte die NS-F;hrung umstandslos zu einer „Bande von Rechtlosen“ (outlaws). Er verweigerte ihnen ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren und wollte bis zu 100 Hauptkriegsverbrecher aus Deutschland, Japan und Italien nach Identit;ts;berpr;fung exekutieren lassen; vergeblich. Ihm gelang aber, durch die Erkl;rung der Moskauer Au;enministerkonferenz vom 1. November 1943, sich mit seiner Forderung durchzusetzen, dass diejenigen Hauptkriegsverbrecher, deren Verantwortung nicht auf ein geographisch begrenztes Territorium beschr;nkt war, sondern l;nder;bergreifenden Charakter hatte, von den Alliierten gemeinsam abgeurteilt werden sollten. Das Deutsche Reich wurde informiert.
Roosevelt interessierte sich anfangs nur wenig f;r diese Fragen. Der Streit zwischen Finanzminister Henry M. Morgenthau und Kriegsminister Henry L. Stimson um die politische Nachkriegsordnung in Deutschland zwang ihn aber, sich zu positionieren. Auf den beiden Konferenzen in Quebec im September 1944 fanden Churchill und Roosevelt im Konzept eines „harten Friedens“ ihre anfangs gemeinsame Basis. Sie folgten den Vorschl;gen des Morgenthau-Plans (Program to Prevent Germany from Starting a World War III), der eine Deindustrialisierung und Demilitarisierung vorsah, und ;bernahmen auch den britischen Vorschlag f;r eine „Hinrichtung der Erzverbrecher im Schnellverfahren“. (Taylor 1994, 49ff.; Smith 1981, bes. 12ff.)
Kriegsminister Stimson intervenierte. Entschieden verwarf er den Morgenthau-Plan als „Verbrechen gegen die Zivilisation“ und pl;dierte daf;r, dass die USA zusammen mit den anderen Alliierten die Nazi-Hauptkriegsverbrecher vor ein internationales Gericht stellen sollten. Der Streit geriet in die ;ffentlichkeit und wurde im Wahlkampf f;r den 79. Kongress kontrovers aufgenommen. Die Demokraten konnten ihre Mehrheit ausbauen, und Roosevelt gewann zum vierten Mal die Pr;sidentschaft. Er ;bernahm nun die Position seines Kriegsministers und st;rkte damit auch die Stellung von Stimsons f;hrenden Juristen – zum Vorteil f;r das kommende Verfahren.
Mitte September legte Oberst Murray Bernays ein wegweisendes Memorandum vor, das L;sungsans;tze f;r zwei schwierige gerichtliche Probleme enthielt. Bernays, im Zivilberuf Anwalt in New York, hatte mit der American Jewish Conference und dem War Refugee Board zusammengearbeitet. Er war mit der Neuartigkeit der Nazi-Verbrechen bereits vertraut, sowohl mit den Gr;ueltaten an russischen Kriegsgefangenen als auch mit den Verbrechen an deutschen Juden in der Vorkriegszeit. Um diese Straftaten in die Kriegsverbrechen einbeziehen zu k;nnen, nutzte er das in der angloamerikanischen Rechtsprechung verankerte Vergehen der kriminellen Verschw;rung. Und angesichts des quantitativen Umfangs der Gewaltverbrechen und der nicht ;berschaubaren Anzahl von T;tern schlug er vor, die blo;e Mitgliedschaft in nachgewiesen kriminellen NS-Organisationen zu einem Straftatbestand zu erheben.
Die Bedenken waren gro;, die Einw;nde zahlreich, aber bessere Vorschl;ge gab es nicht. Sie fanden die Zustimmung von John J. McCloy, dem stellvertretenden US-Kriegsminister und sp;teren Hohen Kommissar in der fr;hen Bundesrepublik. Auf Veranlassung des Pr;sidenten kam ein weiteres neues Verbrechen hinzu, der „Angriffskrieg“. Auf dieses weitgehend vom Kriegsministerium entwickelte Anklagekonzept sollte sich Roosevelt auf der Konferenz von Jalta Anfang Februar 1945 st;tzen. Dort standen allerdings Fragen der politischen Neuordnung Europas nach dem Kriege im Mittelpunkt. Zur gleichen Zeit konferierten in San Francisco die Au;enminister Eden, Molotow und Stettinius ;ber die Charta der Vereinten Nationen. Sie nutzten diese Gelegenheit, ;ber das Stimson-Memorandum zu beraten und ihm durch ihre Juristen eine definitive Form zu geben. (Smith 1982, 117ff.)
Ihre Bem;hungen waren noch nicht abgeschlossen, als Roosevelt starb und sein Nachfolger Harry S. Truman in das Verfahren durch eine nachhaltige personalpolitische Entscheidung eingriff. Am 2. Mai 1945 ernannte er Robert H. Jackson zum Vertreter der USA und Chefankl;ger; er sollte vor einem internationalen Milit;rgericht den F;hrern der europ;ischen Achsenm;chte den Prozess machen. Jackson war 1939 von Roosevelt zum Attorney General ernannt worden (in den USA sind in diesem Amt der Oberste Bundesanwalt und der Justizminister vereint) und wurde wenig sp;ter Richter am Supreme Court. Angesto;en hatten diese Initiative offenbar die einflussreichen Juristen um Kriegsminister Stimson, John McCloy und Samuel Rosenman, Roosevelts langj;hriger Rechtsberater und Redenschreiber. Diese waren es denn auch, die zusammen mit Au;enminister Stettinius einen Tag sp;ter der in San Francisco tagenden Gr;ndungsversammlung f;r die Vereinten Nationen und insbesondere den Au;enministern Eden und Molotow den amerikanischen Anklageplan samt Person des Chefankl;gers vorstellten. Der Brite stimmte sofort zu, der Russe z;gerte und sah sich – so kurzfristig – ;berfordert.
Es war wohl ein Zufall, dass die Unterzeichnung der UN-Charta durch die 50 Gr;nderstaaten am 26. Juni 1945 in San Francisco und der Konsens f;r ein internationales Milit;rtribunal zur Verfolgung der NS-Verbrechen Hand in Hand gingen. Jedenfalls begannen an diesem Tag in London die Beratungen ;ber die prozessrechtlichen Grundlagen f;r das Tribunal. Aber es war eine f;r den Geist und den politischen Willen jener Tage doch bezeichnende Koinzidenz, zumal nach zwei Weltkriegen.
Die operative Grundlage wurde am 8. August mit dem Londoner Vierm;chte-Abkommen beschlossen, auch „Londoner“ oder „N;rnberger Charta“‘ genannt. Sie umfasste die Prozessordnung f;r das Hauptverfahren, die zw;lf Nachfolgeprozesse durch die US-amerikanische Justiz und den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher von Tokio. Zudem definierte sie in Art. 6 der IMT-Charta die drei bzw. vier v;lkerstrafrechtlichen Tatbest;nde: „Verbrechen gegen den Frieden“ (6a) (II), „Kriegsverbrechen“ (6b) (III) und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (6c) (IV). Zwei dieser Komplexe, 6a und 6c, waren bisher im V;lkerstrafrecht nicht kodifiziert. Entsprechend kontrovers gestaltete sich ihre Definition. Mit der neuen Straftat „Verbrechen gegen den Frieden“ wurde die „Verschw;rung und Vorbereitung eines Angriffskrieges“ (I) eingef;hrt und zugleich der Weg fortgesetzt, den man mit der Eingrenzung des Krieges nach dem Ersten Weltkrieg eingeschlagen hatte. Die drei alliierten Ankl;ger in N;rnberg machten diese Straftaten zu den Anklagepunkten I–IV. (Delbr;ck/Wolfrum 2002, 1028; Ahlbrecht 1999, 71ff.)
Und nicht zuletzt best;tigte man im Anschluss an die Erkl;rung der Drei-M;chte-Konferenz im Oktober 1943 in Moskau, dass das Gericht nur gegen jene T;ter Anklage erheben sollte, deren Verantwortung nicht auf einen bestimmten geographischen Raum zu begrenzen war. Die Charta gilt als „Geburtsurkunde des V;lkerstrafrechts“ (Werle 2003, 8). Sie bildete die Grundlage f;r das Kontrollratsgesetz Nr. 10 und war ma;geblich auch f;r die Nachfolgeprozesse. Gro;e Schwierigkeiten bereitete den Alliierten der Straftatbestand des „Angriffskrieges“. Er sollte in einem universellen, modernen V;lkerstrafrecht besonders herausgestellt werden. Deshalb trennte Jackson diesen Anklagepunkt von der Klausel der Achsenm;chte und nahm sie in den Einleitungsabsatz von Art. 6 auf. „Angriffskrieg“ hatte damit den gleichen, allgemeinen Status wie „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Als besonders schwierig erwies sich die Auswahl der Angeklagten. Hitler und Himmler, Goebbels und Heydrich waren tot. Die Briten h;tten sich mit ihnen begn;gt, zumal sie wegen ihrer gro;en Skepsis gegen;ber einem Prozess die Zahl der Angeklagten begrenzen wollten. Die Amerikaner, Franzosen und Russen forderten, Milit;r- und Wirtschaftsf;hrer einzubeziehen. Die Londoner Konferenz musste auch ;ber den Gerichtsort entscheiden. Die Sowjetunion w;nschte Berlin, wo sich der Sitz des Alliierten Kontrollrats befand. So wurde der Prozess am 18. Oktober 1945 im Plenarsaal des Berliner Kammergerichtes er;ffnet. Bei der Entscheidung ;ber den Ort des gesamten Verfahrens setzten sich allerdings die USA durch. N;rnberg lag in ihrer Besatzungszone, verf;gte mit dem Justizpalast und dem gro;en Gef;ngnis ;ber zwei weitgehend intakte und geeignete Geb;ude. Als ehemalige „Stadt der Reichsparteitage“ hatte N;rnberg einen hohen symbolpolitischen Wert. Weshalb die USA dort auch in den zw;lf Nachfolgeprozessen Anklage erhoben gegen namhafte Vertreter div. F;hrungsgruppen Deutschlands. Schlie;lich trugen sie den weitaus gr;;ten Anteil an den Lasten und Kosten des Verfahrens.
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