Neuer Dokumentarfilm ueber Leni Riefenstahl

Filmfestival Venedig
Geschickte Manipulatorin: Neuer Dokumentarfilm ;ber Leni Riefenstahl
08:20 Minuten

Regisseurin Leni Riefenstahl im wei;en Kittel mit einem Filmstreifen in den H;nden beim Schnitt.
Die NS-Propagandistin und Regisseurin Leni Riefenstahl (1902-2003) war eine Meisterin der Filmmontage. © picture alliance / CPA Media
Maischberger, Sandra | 28. August 2024, 06:50 Uhr
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Ein neuer Dokumentarfilm ;ber die NS-Propagandistin Leni Riefenstahl feiert bei den Filmfestspiele in Venedig Premiere. Auf Basis des Riefenstahl-Nachlasses versucht Regisseur Andres Veiel die Fassade der umstrittenen Filmemacherin zu durchdringen.


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Neuer Film ;ber Leni Riefenstahl
Triumph ihres Willens
 
 

29.08.2024

Eine Dokumentation von Andres Veiel fragt beim Filmfest von Venedig mit neuer Vehemenz nach der NS-Regisseurin Leni Riefenstahl. Er zerlegt einmal mehr ihren Mythos des Unpolitischen und holt das Problem ihrer ;sthetik ins Jetzt

Man kann sich auch mit der Schreibmaschine schuldig machen. Der Bundesgerichtshof in Leipzig best;tigte k;rzlich das Urteil im Fall einer fr;heren Sekret;rin im Konzentrationslager Stutthof. Irmgard F. leistete Beihilfe zum Mord in mehr als zehntausend F;llen, so lautete das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom Dezember 2022. Die inzwischen 99-J;hrige ging in Revision, allerdings ohne Erfolg. Das Urteil ist rechtskr;ftig: Zwei Jahre Jugendstrafe auf Bew;hrung, denn zur Tatzeit war sie zwischen 18 und 19 Jahre alt. 

Der Fall Leni R. liegt ganz anders. Erstens m;sste man von einer "Schneidetischt;terin" sprechen. Zweitens hat die Fotografin und Filmemacherin nichts von Konzentrationslagern und Massenmord gewusst – behauptete sie jedenfalls bis fast zuletzt. Sie ist n;mlich drittens schon tot.

Leni Riefenstahl starb im September 2003 im Alter von 101 Jahren in ihrem Haus in P;cking am Starnberger See. Bis auf ein paar "Fehler" in der Vergangenheit wollte sie sich nichts vorwerfen lassen. Sie war die einzige weibliche Regisseurin im "Dritten Reich", eine K;nstlerin von Hitlers und mit Einschr;nkungen auch von Goebbels’ Gnaden. Trotzdem galt sie, die 1952 nach vier Spruchkammerverfahren endg;ltig Entnazifizierte, nicht wenigen als Unschuld in Person. Mick Jagger, Andy Warhol, George Lucas, Quentin Tarantino, Jodie Foster oder Madonna brachten ihre Bewunderung zum Ausdruck. In einem "Emma"-Artikel von 1999 zeigte sich auch Alice Schwarzer begeistert von ihr. Gibt es so etwas: "Faschofeministinnen"?

Riefenstahl-Doppelstrategie

Wie kann das alles sein? Oder anders formuliert: Wie hat Riefenstahl das geschafft? Schlie;lich wusste die Scheinnaive sehr wohl, was sie wollte und tat. Zu ihrem Selbstentnazifizierungsprogramm geh;rte auch immer: m;chtige Bewunderer um sich scharen, Kritikerinnen ausschalten. Letztere hat sie, wenn irgend m;glich, mit Unterlassungsklagen mundtot gemacht. Dass es diese Riefenstahl-Doppelstrategie gab, ist wahrscheinlich nichts Neues. Aber so richtig nachgedacht hat man dar;ber nie. Zeitweilig war sie unter dem Radar, dann wieder hip. Jetzt hat ein Dokumentarfilm am Lido Premiere gefeiert, der mit neuer Vehemenz nach Leni Riefenstahl fragt. Und der auch den heute Lebenden Fragen stellt: Wer wir sind, wie wir die Welt sehen, wie wir sein wollen.

Sechs Jahre hat Andres Veiel mit seinem Team an "Riefenstahl" gearbeitet. Was man dem Film – und das ist als Lob gemeint – nicht ansieht. Er ist ein Kunstwerk, das frei von Kunstanstrengung ist. Am Anfang des Projekts stand die unangenehme Einsicht der TV-Moderatorin und Journalistin Sandra Maischberger, dass auch sie sich von der liebensw;rdigen Greisin hatte einwickeln und bel;gen lassen, wie die "Riefenstahl"-Produzentin am Rand einer ersten Pressevorf;hrung in Berlin erz;hlte. Da "viele Fragen offenblieben", bem;hte sich Maischberger 2017 um den Nachlass in den 700 Kisten, die an die Stiftung Preu;ischer Kulturbesitz ;berstellt worden waren. Sie bot der Stiftung eine aufwendige, von Fachleuten unternommene Inventur des Nachlasses an, um im Gegenzug einen Dokumentarfilm produzieren zu k;nnen. Schon 2018 stieg Andres Veiel, der schon 2017 mit dem Film ;ber Kunst und ;konomie "Beuys" ;berzeugte,  in das Projekt ein.

Man gewinnt den Eindruck, dass schon die junge Riefenstahl von einem ;bermenschlichen Ehrgeiz getrieben war. Vom Ausdruckstanz ;ber die Schauspielerei (in Arnold Fancks Bergfilmen) und die Spielfilmregie bis zum Dokumentarfilm probierte sie alles aus, was Erfolg versprach. Sie war nicht in allen Disziplinen von gro;em Talent gesegnet. Aber wenn Veiel sie in zwei Fotosequenzen als mit Filmstreifen hantierende Souver;nin der Filmmontage zeigt, wird deutlich, dass in der Organisation von Material wahrscheinlich ihre St;rken lagen.

"Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel"

Au;erdem hatte sie einen guten Blick f;r das Talent der anderen, vor allem der Kameraleute. Aus dem Feld des "Dokumentarischen" zeigt Veiel dann auch die l;ngsten Ausschnitte: Aus "Triumph des Willens" – vom N;rnberger Parteitag 1935 – und aus dem zweiteiligen "Olympia"-Projekt, das w;hrend der Spiele 1936 in Berlin gedreht wurde. Nur: Ausgerechnet diese technisch und ;sthetisch gelungensten Riefenstahl-Filme sind gleichzeitig nat;rlich hochproblematisch, weil sie Teil der NS-Propagandamaschinerie waren.

Ohne ihre Hitler-Begeisterung ist Leni nicht zu haben. Vom "F;hrer" hat sie sich nie distanziert, und so blieb sie auch in der Nachkriegszeit dem Nationalsozialismus treu. Dies aber in einer verschlagenen Art und Weise, die der Zeit angepasst war, die jedes ;ffentliche Wort abw;gte und sich in Talkshows und Interviews gerne zum Verleumdungs-Opfer stilisierte. Riefenstahls zahlreichen aus dem Nachlass zutage bef;rderten Mitschnitte von Telefongespr;chen – in denen sie viel moralische Unterst;tzung und Applaus von Ewiggestrigen bekommt – gew;hren einen mitunter best;rzenden Einblick in ihr Mindset und die Resonanz, auf die Riefenstahl bauen konnte.

"Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel", befand der irische Filmexperte Liam O’Leary. Die 2022 verstorbene Nina Gladitz, die Riefenstahl mit ihrem Buch "Karriere einer T;terin" ein vernichtendes Zeugnis ausstellte, drehte das Zitat um: "Keine Ausnahmek;nstlerin, aber ein politisches Genie". Doch: H;tte sie als vermeintlich langfristige Taktikerin die vielen Zeugnisse ihrer faschistischen Weltanschauung nicht aus dem Nachlass tilgen m;ssen?

Leni, die T;terin

Sie hat ihre Vergangenheit sch;ngef;rbt, L;gen erz;hlt, Menschen f;rchterlich ausgenutzt. Das Schicksal des Filmemachers und Fotografen Willy Zielke, aus dem bei Nina Gladitz fast eine Verschw;rungserz;hlung wird – nach Gladitz soll Riefenstahl erst die Karriere des Konkurrenten zerst;rt haben, um sich dessen beachtliche Skills im weiteren Verlauf der NS-Zeit zunutze zu machen; sie habe daf;r gesorgt, dass der seelisch labile Mann in die M;hlen der Psychiatrie geriet, gleichzeitig aber sichergestellt, dass er f;r Riefenstahls Zwecke verf;gbar blieb. Hier f;llt die Beweisf;hrung streckenweise l;ckenhaft aus.

Keine Zweifel bleiben aber in der Causa der von Riefenstahl f;r den "Tiefland"-Dreh aus dem "Zigeuner"-Lager Maxglan bei Salzburg ausgew;hlten und als Statisten missbrauchten Sinti und Roma. Sp;ter behauptete die Regisseurin, sie h;tte alle nach Kriegsende wiedergesehen – in Wahrheit wurde mehr als die H;lfte ihrer "Sch;tzlinge" ermordet. Gladitz drehte unter Mitwirkung der Opfer den Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit", der nach einer Ausstrahlung 1982 im Giftschrank des WDR verschwand, inzwischen kann man den tief bewegenden Film auf Youtube anschauen.

Leni, die T;terin. Veiel l;sst "Tiefland" und das Schicksal der betroffenen Familien in nat;rlich nicht unerw;hnt. Vor allem aber nimmt "Riefenstahl" die Ereignisse in Konskie in Polen unter die Lupe, wo sie als Leiterin eines "Sonderfilmtrupps" 1939 (nicht nur) Augenzeugin eines der ersten Wehrmachtsverbrechen wurde. Sie bestritt das, aber Fotos, die Riefenstahl mit schreckgeweiteten Augen zeigen, beweisen, dass sie dabei war, als Juden auf dem Marktplatz erschossen wurden. Veiel geht aber noch weiter, indem er einen weiteren Zeugen zitiert, der geh;rt haben will, dass Riefenstahl beim Dreh auf dem Marktplatz gerufen haben will, die Juden – Leute, die sie nicht in der Filmaufnahme haben wollte – m;ssten "weg". Es ist denkbar, dass die Filmemacherin das Massaker auf diese Weise mit ausgel;st hat.

In Herrenmenschen-Attit;de

"Riefenstahl" ist ein Film, der seine Hauptfigur keineswegs aus dem Sicherheitsabstand einer Guido-Knopp-Doku betrachtet. Er holt sie vielmehr in die Gegenwart. Das ausgew;hlte Material wirkt oftmals wie ein Spiegel aktueller Ereignisse. Wenn Rudolf Hess im "Triumph des Willens" etwa sagt, "der F;hrer ist unser Garant des Friedens", sind Putins Angriffskrieg und die h;ufig verdrehten Diskurse neueren Datums mitgemeint. Ebenso diskutiert "Riefenstahl" auf dem Feld des Postkolonialismus mit. Ab 1962 reist Riefenstahl mehrmals in den Sudan zum Volk der Nuba, um vor allem die kr;ftigen Krieger und junge, sch;ne Frauen vor die Linse zu bekommen. Mit seltenen Dokumentarszenen zeigt Veiel die Regisseurin in Herrenmenschen-Attit;de, wenn sie zum Beispiel ihre Modelle mit einem Stock traktiert, um bestimmte Bilder von ihnen zu bekommen.

Im Kern von "Riefenstahl" geht es um einen pervertierten Sch;nheitsbegriff, der die Kehrseite des Sch;nen, ;berlegenen und Siegreichen – das vermeintlich Unwerte, Kranke, Schwache und auch das Fremde ausblendet. Nach diesem Prinzip l;sst sich auch ;ber die NS-Zeit wohlwollend hinwegsehen, um sie als "Vogelschiss in ;ber 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" (Alexander Gauland) zu marginalisieren. Doch "Riefenstahl" zieht noch gr;;ere Kreise, obwohl die Gegenwart, ihre Trends und Krisen auf den ersten Blick in Andres Veiels meisterhaftem Dokumentarfilm keine Rolle zu spielen scheint.

Angesichts eines Outtakes aus "Speer und Er. Nachspiel – die T;uschung" von Heinrich Breloer, in dem die greise Jahrhundertfigur laut ;ber faltenmildernde Lichtsetzung nachdenkt, k;nnte man von ihrem Werk aus, das nicht zuletzt in ihrem "Olympia"-Film den Kult um perfekte K;rper zelebriert, durchaus Parallelen zu Instagram-Filtern, Sch;nheitswahn und Bodyshaming ziehen. Leni Riefenstahl ist wom;glich nicht unschuldig daran, dass das Sch;ne aus der Trias des Wahren, Sch;nen und Guten ausgebrochen ist.

Die gedankliche Verbindung zwischen Sch;nheitskult, Ausgrenzungsphantasien und ;berlegenheitswahn sollte uns gro;e Sorgen bereiten, weil sie immer weitere Kreise zieht. Gerade das vorgeblich "Unpolitische" macht die Riefenstahl-;sthetik so gef;hrlich. In Wahrheit ist sie hochpolitisch. Ohne einen direkten, im Film sichtbaren Kontext herzustellen – es ist immer besser, das Publikum selber Schl;sse ziehen zu lassen – verbindet Andres Veiel "Riefenstahl" mit Putin, Trump, H;cke. Der Fall Irmgard F. ist mit dem Urteil in Leipzig abgeschlossen. Der Prozess um Leni R. geht


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