Sprachlupe

Sprachlupe: Willkommen im Club, S;dhochdeutsch!
Daniel Goldstein / 10.08.2024  Nicht nur in ;sterreich und der Schweiz regt sich Widerwillen gegen den Anspruch eines n;rdlich gepr;gten «Einheits-Hochdeutsch».

«Rettet den Rahm und die Semmel!» Der Aufruf kommt aus Bayern, und wir k;nnen ihm in der Schweiz laut beipflichten, wenn uns jemand Sahne und Br;tchen andrehen will – dies obendrein mit der Begr;ndung, nur so heisse das auf Hochdeutsch. Zur Dialektrettung m;sste der Aufruf hier­zulande Nidle u M;tschli oder auch Nidel und B;rli hochhalten. Nun aber geht es um die Schriftsprache, und da d;rfen wir auch Deutschen Rahm und Semmeln auf­tischen, ohne zu err;ten. Nach Duden ist Rahm in «landschaftlichem», also regionalem Gebrauch, Semmel «besonders ;sterreichisch, bayrisch». B;rli steht als «schweizerisch» im Rechtschreib-W;rterbuch, als «schweizerisch mundartlich» sogar Nidel/Nidle. B;ckereien und Molkereien m;ssen also ihre Schiefertafeln nicht korrigieren.

blaukraut
Aus «Blaukraut bleibt Blaukraut» © Elena Buono
Mit dem Appell f;r Rahm und Semmel haben der Bund Bairische Sprache und der Bayerische Landesverein f;r Heimatpflege dieses Jahr eine Kampagne f;r «S;dhochdeutsch» lanciert, denn «viele W;rter der S;ddeutschen Hochsprache werden allm;hlich von ihren norddeutschen Varianten verdr;ngt». Die Vereine rufen dazu auf, «die S;ddeutsche Hochsprache in ihrer alt­bayerischen, fr;nkischen und schw;bischen Variante konsequent und kontinuierlich zu f;rdern. (…) Dass die deutsche Hoch- und Schriftsprache nur in regionalen Varianten existiert, ist in der ;ffentlichkeit zu wenig bekannt. Allzu oft wird n;rdliches Deutsch naiv f;r das eine ‹reine Hochdeutsch› gehalten.»

Irrglaube vom «einzig korrekten» Norddeutsch

Dieser Irrglaube wird oft auch in der Deutschschweiz verbreitet, so j;ngst im «Sprachquiz» der «Sonntags-Zeitung» mit Tipps, um auf Reisen Richtung Norden «zu zeigen, dass man das mit dem Hochdeutsch im Griff hat». So solle man in Berlin statt Br;tli eben Schrippen sagen – also ein Wort verwenden, das laut Duden «besonders berlinisch» f;r Br;tchen ist. Das Blatt versteigt sich gar zu den Behauptungen, «auf Deutsch» gebe es nur die Tram und «korrektes Hochdeutsch» sei allein die Mail. Dabei hat das Mail als «besonders s;ddeutsch, ;sterreichisch, schweizerisch» den Segen des Dudens; die und das Tram l;sst er online gleichermassen gelten, aber beides nur auf s;dlichen Geleisen, sonst Strassenbahn.

Wer sich f;r schweizerisches Hochdeutsch wehrt, kann sich schon lange auf sprachlich Selbstbewusste in ;sterreich berufen und findet nun auch im S;den Deutschlands Gleichgesinnte. Der Bund Bairische Sprache bietet auf seiner Facebook-Seite eine kleine Einf;hrung zum Begriff Standardsprache, besonders was die Aussprache betrifft. Dort steht unter anderem, diese Sprache sei «jedem und jeder in die Wiege gelegt», was dann f;r die Schweiz doch eine k;hne Behauptung w;re. Dennoch gibt es auch eine schweizerische F;rbung, die als Standardvariante akzeptiert ist. Der kleine Duden «Schweizer­hochdeutsch» gibt Hinweise dazu. Sein Hauptteil indessen gilt dem Wortschatz.

Blaukraut gr;sst Rotkabis, Gelbe R;be das R;ebli

Ein noch kleineres W;rterbuch gibt’s nun auch f;r «Altbayerisches Hochdeutsch», gratis im Internet, nebst politischer Petition: «Blaukraut bleibt Blaukraut». Das ist unser Rotkabis; beides steht mit Regionalvermerk im Duden, ohne Einschr;nkung sind dort Rotkraut und Rotkohl zu finden. Ebenfalls zum Herunterladen bereit sind Forschungsliteratur und ein s;dhochdeutsch gesprochenes, fremdenfreundliches M;rchen; dort sind mir vor allem dunklere Vokalf;rbungen und gerollte R aufgefallen. Dem «altbayerischen» W;rterb;chlein ist eine Ausweitung aufs ganze S;dhochdeutsch zu w;nschen, um das Gewicht gegen;ber der n;rdlichen Sprachdominanz zu vergr;ssern. Davon w;rden auch ;sterreich und die Schweiz profitieren, trotz Unterschieden in den jeweiligen Versionen des Standarddeutschen. So pl;diert der Aufruf «pro S;dhochdeutsch» f;r «Gelbe R;be statt M;hre»; uns w;ren Karotten lieber, im Inland d;rfen wir Duden-getrost bei R;ebli bleiben.

duden-pflaumen
© Christiane Gottschlich, Berlin
Mit den S;ddeutschen k;nnen wir uns dann wieder verb;nden, um zwischen Zwetschgen und Pflaumen zu unterscheiden – im Online-Duden sind doch tats;chlich unter Pflaume eindeutige Zwetsch­gen abgebildet. Als Synonyme werden genannt: «s;ddeutsch, schweizerisch und Fachsprache» Zwetschge sowie «regional, besonders norddeutsch» Zwetsche. Eigene Bilder gibt’s dazu nicht, daf;r den (botanisch fast richtigen) Hinweis, das sei «eine Pflaumenart» – und sie heisse «besonders ;sterreichisch» auch Zwetschke. Aber nur via Pflaumenmus gelangt man zu dessen sehr ;sterreichischem, aus dem Tschechischen stammenden Synonym Powidl. Beim EU-Beitritt sorgte Wien f;r amtliche Geltung in der Union, wie bei 22 weiteren Delikatessen. Das Wort wird auch sprichw;rtlich verwendet: Es ist mir Powidl (wurscht). Das trifft nat;rlich auf die regionalsprachlichen Finessen nicht zu.

Weiterf;hrende Informationen
Indexeintr;ge «Helvetismen/Hochdeutsch» und «Sprachgebiete» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den B;nden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
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