Eine alte Theateranekdote

Eine alte Theateranekdote

Heinrich Zschokke (1771-1848) gehoerte in seiner Zeit zu den meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellern. Er verfasste im Stile der Raeuber- und Schauerromantik einen Roman "Abelino der grosse Bandit", den er 1795 in eine dramatisierte Fassung brachte. Die Urauffuehrung des spaeter vielgespielten Stuecks fand am 19.05.1795 in Leipzig statt.

In einer Auffuehrung ging ein Schuss nicht los.

„Seht, so erhaelt euch ein Bandit aus Dankbarkeit das Leben, weil ihr ihm bald das seinige rauben wollt", hatte der Abelino auszurufen. Der Gegenspieler aber hatte darauf einen Dolch zu ziehen und ihn gegen Abellino zu zuecken, doch der sollte ihm zuvorkommen, indem er seine Pistole auf den Angreifer richtete: „Nun denn, nimm dies!" Er drueckte ab, aber es knallte nicht. Um Risiken auf offener Buehne zu vermeiden, wurde es in vergangenen Zeiten so gemacht: Der Schauspieler drueckte nur eine ungeladene Pistole ab, geschossen wurde hinter den Kulissen. Und diese Pistole hinter den Kulissen ging also nicht los, und der Kontrahent konnte nicht tot zusammenbrechen.

Heute funktionieren die Buehnenrevolver - jedenfalls meistens. Also damals beim „Abellino" ging er nicht los. Auch ein zweites Mal nicht und ein drittes Mal auch nicht. Abellino drueckte immer wieder ab, aber kein Knall - in der Kulisse war ein leises Knacken zu hoeren. Der Kontrahend grinste und fummelte mit einem Dolch in der Weltgeschichte herum, ohne zuzustechen; denn er musste laut Textbuch ermordet werden, nicht Abellino. Da packte den Raeuberhauptmann die Wut. Er warf die Pistole fort, rief das Stichwort noch einmal: „Nimm dies!" - und trat dem Gegner unsanft in den Allerwertesten. Dieser erfasste die Situation und brach zusammen: „Weh mir! Der Stiefel war vergiftet!" - und starb. Doch jetzt ging in den Kulissen der Schuss doch noch los. Da drehte sich der Vergiftete noch einmal um, sagte: „Auch das noch!" - und verschied endgueltig.


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