Gib Ruhe, lass mich in Frieden und halt s Maul
auf der Seele liegen, Gib Ruhe, Halt den Mund, Halt den Rand, Halt den Schlapfen, Halt die Fresse, Halt die Goschn, Halt die Klappe, Halt die Pappm, Halt die Pfeifn, Halt die Schnauze, Halt's Maul, im Kopf herumspuken, Lass mich in Frieden, Seelenruhe, Sei still/0
In unserem Leben, in dem wir alles immer noch ein bisschen schneller, effizienter und besser machen wollen, um auch wirklich das Allermeiste aus Karriere, Beziehung, Kindern, K;rper, Aussehen und vor allem aus unserer Zeit herauszuholen, sehnen wir uns oft nach einem: Ruhe. Und vielleicht hat dieses Verlangen nach Ruhe und Frieden und Stille im Kopf etwas damit zu tun, dass allein in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen tablettenabh;ngig sind. S;chtig nach Ruhestellung. Aber was st;rt die Ruhe und was sagt unsere Sprache eigentlich dazu?
„Es ist, als wiege das Sediersystem die Welt in einen gro;en Schlaf.“ Schreibt Anne Kunze in ihrem Artikel* ;ber die oft untersch;tzte Tablettenabh;ngigkeit in Deutschland und dem Rest der westlich gepr;gten Welt. Was sie meint, ist, dass es aus Sicht von Pharmaindustrie, Beh;rden und ;rzten gar nicht so sehr von Nachteil ist, wenn sich die Bev;lkerung selbst ein wenig ruhig stellt. Und das tut sie schon seit den fr;hen 1960er-Jahren, als Schlaf- und Beruhigungsmittel erstmals f;r alle verf;gbar waren. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 18,7 Millionen Packungen davon verkauft.
Dass die Ruhe zum Einnehmen ein Verkaufsschlager wurde, ist aber keine ;berraschung. Denn auf Knopfdruck von allen Sorgen, Belastungen oder sogar ;ngsten befreit zu sein, das ist doch sehr verlockend. In einen ruhigen, kilometertiefen Schlaf sinken zu k;nnen, f;r eine kurze Zeit nicht denken, nicht gr;beln zu m;ssen – das ist auf nat;rliche Weise gar nicht immer leicht. Denn Ruhe ist das, was wir nicht entscheiden k;nnen, was wir nicht einmal durch harte Arbeit, gro;e Anstrengung oder ganz viel Geld erreichen k;nnen. Im Gegenteil – meistens wird das Leben durch all das noch unruhiger.
Die sprachliche Ruhe
Aber wie f;hlt sich die Ruhe an und woher kommt sie? Sie definiert sich als ein „sich durch Nichtstun erholen“, ein „nicht in T;tigkeit sein“, „nicht in Betrieb sein“. Und so klingt sie tats;chlich nicht weit weg von einem „Abschalten” oder„Ausschalten”. Sie beschreibt sich auch als „Zustand beschaulicher Unt;tigkeit”, als „Entspannung”, „Erholung” und „Gelassenheit”. Kein Wunder, dass wir uns die Ruhe w;nschen, wenn sie all das mit sich bringt.
Ein Lass mich in Ruhe! bedeutet also vielleicht viel mehr, als nur von nervigen Fragen oder Angriffen verschont zu bleiben. Es bedeutet ein „belaste mich nicht damit!“ Denn genau das ist es ja, was uns die Ruhe nimmt – die Belastung und das Belastet-sein. Durch etwas, das uns auf der Seele liegt und im Kopf herumspukt, ein Unruhezustand in Geist und folglich oft im K;rper – oder auch umgekehrt. Manchmal wollen wir einfach zufrieden gelassen, in Frieden gelassen werden. Und dass das Wort “Friede” auf dieselbe sprachliche Wurzel zur;ckf;hrt wie das Wort “frei”, erz;hlt uns noch mehr ;ber unseren Wunsch nach Seelenruhe – nach “Freisein”, nach “unabh;ngig”, “unbelastet” und “nicht beengt” sein.
Es sind auch oft die eigenen Gedanken, die eigene Stimme oder die der anderen, die uns keine Ruhe lassen. Die fehlende Stille also. Sie ist der Definition nach ein „durch kein l;rmendes, unangenehmes Ger;usch gest;rter (wohltuender) Zustand“, nach dem wir uns ebenfalls sehnen, um selbst ruhiger zu werden. Und das sagen wir auch oft ganz deutlich. Mit einem Sei still! zum Beispiel, mit dem wir andere oder auch uns selbst zum Schweigen bringen wollen. Noch klarer vielleicht mit einem:
Halt den Mund!
Halt’s Maul!
Halt die Fresse!
Halt die Schnauze!
Halt die Klappe!
Halt den Rand! ;
Oder auch ein wenig ;sterreichischer mit:
Hoit de Pappm!
Hoit de Goschn!
Hoit de Pfeifn! und
Hoit in Schlapfen! ;
Wir haben also eine recht gro;e sprachliche Palette an Ausdr;cken zur Verf;gung, um uns gegen diejenigen zu wehren, die wir nicht h;ren wollen, weil uns ihr Gerede belastet und die Stille, die Ruhe nimmt. Viel schwieriger ist es allerdings, den st;renden L;rm in unserem Kopf und die Last auf der Seele dazu zu bringen, doch bitte endlich die Fresse zu halten. Vor allem dann, wenn die Windm;hlen, gegen die wir k;mpfen, wie ein Hirngespinst wirken. Haben wir denn ;berhaupt berechtigte Sorgen? Vielleicht ;bertreiben wir ja auch einfach, sind verweichlicht und hysterisch.
Von der kranken Scheinruhe zur gesunden Unruhe
Ein Werbeslogan f;r ein Beruhigungsmittel im Jahr 1970 lautete: „Keine Scheinl;sung f;r Probleme, sondern eine L;sung f;r Scheinprobleme.“ Auch das erw;hnt Anne Kunze in ihrem Artikel. Und sie zitiert den Arzt einer Entzugsklinik, der erz;hlt, dass die behandelten Tablettens;chtigen nach einem Entzug zwar in vielen F;llen clean bleiben, dann aber oft auf Probleme in Familie und Partnerschaft sto;en, weil es den Menschen um sie herum scher f;llt, mit der neuen Un-Ruhe, dem nicht-sedierten Willen und dem klaren, eigenen Kopf der ehemals Ruhiggestellten umzugehen. Die wiederum f;hlen sich aber vielleicht ruhiger als je zuvor. Vor allem dann, wenn sie einen Weg gefunden haben, den L;rm und die Last anderweitig loszuwerden. Oder ein Leben zu f;hren, dass die Ruhe ein bisschen weniger st;rt.
*Anne Kunze: „Bleiben Sie jetzt blo; nicht ruhig!“, in Die Zeit, Nr. 24, 11. Juni 2015, S. 19ff.
; Zur Herkunft: Halt’s Maul! – Das Maul der Tiere wird schon seit dem Mittelhochdeutschen als derber Begriff f;r den Mund von Menschen gebraucht. Halt die Fresse! – Verwendet seit dem 17. Jhdt., kommt die Fresse vom Verb „fressen“. Halt die Schnauze! – Die Schnauze ist verwandt mit dem Wort „Schnute“. Halt die Klappe! – Eine Klappe war zun;chst ein Gegenstand, der mit einem Ger;usch auf etwas auftrifft. Sp;ter wurde daraus eine Vorrichtung zum Verschlie;en und Auf- und Zuklappen und so zum Sinnbild f;r den Mund. Halt den Rand! – Der Rand hatte urspr;nglich die Bedeutung einer Einfassung oder eines Rahmens. Daraus entstand im 19. Jahrhundert die ;bertragene Bedeutung von „Mund“.
; Zur Herkunft: Hoit de Pappm! – Verwandt mit dem Wort „Papp“, das lautmalerisch einen Kinderbrei bezeichnete (bereits im 15. Jhdt.). Hoit de Goschn! – Die Herkunft von „Gosche“ ist nicht ganz klar, aber ist wohl mit dem lateinischen „geusiae“ f;r „Mund“, „Rachen“ verwandt. Hoit de Pfeifn! – Stammt von dem Vergleich von Pfeife und Nase. Hoit in Schlapfen! – Die „Schlappe“ war schon fr;h ein (oft abwertender) Begriff f;r „Mund“ und hat seine Wurzeln laut Deutschem W;rterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wohl nicht im Schuh, sondern in den W;rtern „schlappen“, „schlabben“, „lecken“, „schl;rfen“.
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