Advokat Martian - 7

Volle Stille. Im Peristilum kaempft schon das Licht aus der Laterne mit der Dunkelheit, die aus den Ecken vordringt. Im Tablinum sitzt Martian, ueber der Arbeit geneigt. Ploetzlich hoert man dringliches alarmierendes Klopfen an die Pforte. Martian stuerzt sich und laeuft zur Pforte.

Martian
(noch im Laufen)
Wer ist da?

Stimme hinter der Pforte
Ich, Ardens...verbirg du mich!

Martian oeffnet das Klappfenster in der Pforte. Durch das Fenster, im flackernden Lichtstreifen aus der Laterne zeigt sich ein blasses, verzerrtes, blutbeflecktes Gesicht von Ardens.

Martian
Was ist denn los?

Ardens
Die Statue ist zerschlagen.

Martian schlaegt die Haende zusammen.

Sie sahen;s...sie sind mir schon auf den Fersen,
Verbirg mich doch!

Martian
Ich kann nicht. Ich darf;s nicht.
Hier in der Naehe wohnt ein Arzt, so laufe
Zu ihm. Fuer ihn wird das nicht so gefaehrlich,
Und du wirst da auch sicherer geborgen.

Ardens
Ich kann nicht weiter gehen...ich verblute...
Gesteinigt, abgeschwaecht...um Gottes Willen!
Errette mich! Gedenke Christus Wunden!

Martian
Ich wage nicht, mein Sohn.

Ardens
Ja, du warst Freund des Vaters
Und kannst mich auch so nennen...
(Haelt inne, horcht auf, vom fern ist das Heulen der Menge
und deren Trampeln zu hoeren.)
Aber schneller,
Lass mich herein!

Constantius
(laeuft aus seinem Zimmer hinaus, das gerade neben der Pforte liegt.)
Patron, ich kann Ardens
In meinem Zimmer bergen.

Martian
Nein, geht nicht.
Dein Zimmer ist in meinem Haus.

Constantius
Hilfe!
Patron, er kann hier an der Schwelle sterben!
Ich lass ihn rein! Soll ruhig ich zusehen,
Wie werden sie ihn toeten, reissen, stampfen?!

Martian haelt ihn schweigend bei der Hand fest, damit er den Riegel nicht zur Seite schiebt. Constantius macht sich Muehe, die Hand freizumachen, strebend nach der Pforte.

Ardens
Lass mich herein!

Martian
Ich kann dich nicht reinlassen.

Ardens
So mag der Herr dich auch in sein Reich
Nicht kommen lassen! Fluch auf dich! Pilatus!
(Schwindet aus dem Fenster. Das Heulen der Menge naehert sich.)

Martian
(laesst Constantius los)
Ardens! Mein Sohn!

(Greift selber zum Riegel, um zu oeffnen, aber dabei ueberraschten ihn heftige Schlaege vieler Faeuste an die Pforte und er haelt an.)

Martian
(mit unsicherer Stimme)
Wer klopft? Wer ist da?

Einige Stimmen
Wache und das Volk!

Martian
(bemueht sich, sich zu beherrschen)
Was wollt ihr?

Eine grobe Stimme
Du verbirgst einen Verbrecher!

Martian
Von wem ihr redet?

Dieselbe Stimme
Weisst du selbst! Tor auf!

Albina
(laeuft hinaus)
Was ist hier los?

Martian
Gehe zu Lucilla, Schwester,
Ich kann vielleicht das Unglueck noch abwenden.

Albina tritt heraus.

Martian
(schon mit fester Stimme)
Vor niemandem muss ich die Pforte oeffnen,
Ausgenommen Diener des Gesetzes.

Eine Stimme
So lass die Wache rein.

Martian
Und wer versichert
Mir, dass die Menge in mein Haus nicht stuerzt?

Stimme
Centurion der Stadtvigilen.

Martian
Du?

Stimme
Ja, ich bin;s.
(Dieselbe Stimme spricht zur Menschenmenge)
Hey, ihr Leut! Folgt uns nicht weiter,
Durchstoebert lieber jene dunklen Gassen,
Er mag dahin gelaufen sein.
(spricht nach einer Weile zu Martian)
So, jetzt
Mach auf das Tor.

Martian oeffnet. Die Wache tritt ins Peristilum herein, Centurion allen voran.

Martian
(zu Centurion)
Ich bitt;, tut eure Pflicht
Ohne zu laermen, da ist eine Kranke.

Die Wache geht durch die Zimmer um das Peristilum auseinander, durchsucht das Tablinum, tritt von links in die Raeume f;r Sklaven ein und fuehrt aus dem linken Durchgang den Mimen und den Waechter hinaus. Andere Vigilen halten Constantius an.

Centurion
(Weist auf die Festgenommenen)
Wer sind die, Martian?

Martian
Die zwei sind meine Sklaven,
Und dieser ist mein Schreiber.

Centurion
(zur Wache)
Schaut genau,
Von diesen aehnelt niemand dem Entlaufenen?

Einige Stimmen aus der Wache
I wo! Der hatte andere Figur,
Zudem auch ganz verpruegelt und verblutet.

Centurion winkt der Wache mit der Hand, die Gefangenen werden entlassen. Centurion begibt sich zum rechten Durchgang. Martian haelt ihn zurueck.

Martian
Ich wuerd; euch bitten, dass ihr auf ein Zimmer
Nicht kommt, denn naemlich dort ist eine Kranke.

Centurion
Nun, hoerten wir schon ueber jene Kranken!
(Zur Wache)
Sucht ueberall!

Die Wache geht in den Durchgang, Martian zur Seite verdraengt, so dass er nicht zurechtkommt, sich nach vorne zu draengen.
Nach einer Weile hoert man einen gellenden Schrei. Lucilla in weisser Nachttunika mit weiten Aermeln rennt ins Peristilum herein, ihr folgt aufgeregt Albina. Martian beeilt sich ihnen hinterher.

Albina
Wohin nun, Toechterlein?

Lucilla
(hastig)
Wo koennen wir uns bergen?
(Kommt an die Lektik und kriecht hinein.)
Komm zu mir, versteck dich, Mama!

Albina
Und wozu denn?

Lucilla
Sonst
Die Wache holt dich!

Albina
Das ist keine Wache...das ist nur so...
(im stillen zu Bruder)
Was soll ich sagen, Martian?

Martian
Das sind...Legionare, die zu Gast
Bei meinem Sohn sind eingeladen.

Lucilla
(mit gedaemfter Stimme)
Nein,
Ihr luegt, das ist nicht wahr!

Man hoert Waffen klirren, die Wache kehrt ins Peristilum zurueck.
Lucilla macht rasch die Vorhaenge zu.

Centurion
Und hier gesucht?

Ein Vigile
Ja, schon.

Lucilla stosst ein dumpfes Stoehnen aus. Centurion laeuft zur Lektik.

Centurion
Wer ist da drin?

Albina
(ergreift seine Haende)
Ich flehe dich an! Beschwoer dich! Schaue nicht!

Centurion
Ich muss.

(Schiebt die Vorh;nge auseinander und blickt in die Lektik hinein. Lucilla hebt sich mit heiserem Aufschrei  und faellt sogleich ohnmaechtig.)

Centurion
(zu Albina, etwas verlegen)
Verzeihung, wenn ich das nur wuesste...

Man klopft an die Pforte wieder.

Eine Stimme hinter der Pforte
Hey, Wache! Er ist schon in unsren Haenden!
Wir haben ihn ertappt!

Centurion
(zu Martian, hoeflich)
Verzeih, mein Herr,
Dass wir dir Sorgen so gemacht...du weisst,
Es ist doch unser Dienst, dass wir so muessen.

Martian schweigt. Centurion macht den Zeichen der Wache und geht mit allen hinter die Pforte.

Albina
(die sich mittlerweile um Lucilla bemuehte, schreit auf)
Mein Gott! Sie ist schon starr!

Martian
(Beugte sich auch ueber Lucilla, schauderte und leitete rasch Albinas H;nde
von Lucilla ab.)
Nein, Schwester, nein...
Das ist nur Ohnmacht...

(Macht den Zeichen den Sklaven, sie tragen die Lektik mit Lucilla nach rechts fort.)

Albina
(ringt in seinen Haenden)
Lass mich, lass mich gehen!

Martian
Ich gehe doch mit, wir gehen zusammen, Schwester.

Sie gehen nach rechts hinaus.
Die Sklaven kehren zurueck, Waechter geht nach links, Mime bleibt im Peristilum.
Nach einiger Zeit hoert man Albina schwer schluchzen.
Martian tritt heraus und klopft an die Tuer von Constantius, dieser verlaesst das Zimmer.

Martian
Bring, bitte, welche Nachbarinnen her,
Damit sie nicht alleine bleibt beim Leichnam.

Constantius
Ist deine Nichte denn gestorben?!

Martian
Ja.

Constantius
Ich gehe sofort, Patron...Gott hab;sie selig...
(Tritt heraus.)


Martian geht zu Albina. Der Mime bessert mittlerweile das Licht im Tablinum und im Peristilum nach, schaut auf die Klepsidra, ebnet neben ihr den zerstampften und mit den Fuessen zertretenen Sand. Constantius geleitet zwei Frauen durch das Peristilum zum rechten Durchgang, etwas zu ihnen im Gehen fluesternd; sie schuetteln traurig den Kopf und seufzen. Nachdem Constantius die Frauen begleitet hat, kehrt er in sein Zimmer zurueck.

Martian
(Fuehrt Albina am Arm und setzt sie auf eine Bank, moeglichst weit vom Licht)
Lasst uns hier sitzen, Schwesterchen. Die Mutter
Soll jener Trauerarbeit nicht zusehen.
Albina weint auf seiner Schulter.

Albina
(hoert auf zu weinen)
Sie hatte recht...
(weint wieder)

Martian
(leise)
Was meinst du?

Albina
Ja, wozu
Wir trugen sie ins Haus auf den Armen!
(weint staerker)

Martian
So sollst du jetzt nicht denken, Schwester, das
War doch der Wille Gottes.

Albina
Wahrlich, Martian,
Der Herr bestraft mich nach Verdienst, weil ich
Abtruennig bin! Ich, eine faule Magd!

Martian
Der Herr ist gnaedig. Das ist keine Strafe.
So liess er nur sein Kind zur Ruhe kommen,
Und jetzt erholt sie sich von schweren Qualen.

Albina
(nach einer Weile der Ruhe wieder in Traenen ausgebrochen)
Ach, Toechterlein! Wofuer hast du mich jetzt
So schwer bestraft! Wofuer?..
(Ploetzlich hoert sie auf, rueckt sich von Martian ab, nimmt ihn bei der Hand und fluestert.)
Wie konnt;sie doch
Gedanken lesen...auch die geheimsten...
Sie sagte einmal: "Wie du hassen sollst
Die Liebe, die zu mir du spuerst..."
(Zog die Brauen zusammen und versank in tiefe Nachdenklichkeit.)

Martian
Nein, Schwester,
Quael dich mit den Erinnerungen nicht.
Der Herr beruft dich jetzt zur Arbeit wieder,
So sei du ihm gehorsam, gehe.

Albina
(ohne ihren Ausdruck zu ;ndern)
Wohin?

Martian
Dahin, wo du mit deinem Mann gearbeitet,
Dort wirst du unter Bruedern sein.

Albina
(etwas besonnener)
Du bist
Doch selbst mein Bruder, und du schickst mich weg.
Sie nehmen mich nicht auf, man wird doch meinen,
Ich war untreu.

Martian
Nein, Schwester, wer hat Herz,
Der wirft doch keinen Stein auf dich.
(Leise und tieftraurig)
Und ich,
Ich muss alleine sein. Der Mensch wie ich
Auf jede Blutsverwandtschaft soll verzichten,
Und niemand soll er sich zum Freund auch machen.
Du musst so weit hinfahren, dass mein Schatten
Dich dort nicht mehr erreicht, so dass du wirst
In Licht dort gehen, von Finsternis befreit.

Albina
(Weint wieder.)
Und wie kann ich Lucilla hier verlassen?
Wer wird ihr Grab denn pflegen?

Martian
Das ich kann.
Die Toten darf bei mir ich aufnehmen.
Dein Kind wird jetzt in meinem Garten ruhen.
Bisher ich pflanzte keine Blumen - doch
Fuer sie find; ich die besten.

Albina
(mit Schluchzen sinkt ihm in die Arme)
Danke, Bruder!..

Der Mime kommt an die Klepsidra, schaut sie aufmerksam an und beginnt mit dem Hammer an das Brett laut zu schlagen.

Albina
(zuckte zusammen)
Was ist das noch?

Martian
Der Mime macht ein Zeichen,
Dass jetzt die Zeit zu schlafen kommt.

Albina
(steht auf)
Ja, Martian,
Du brauchst nun Erholung.

Martian
Nein, ich werde
Bis morgen arbeiten.

Albina
So gehe ich nun...
Ich gehe...mich an der Tochter satt zu sehen
Zum letzten Mal...Ach, Toechterlein, wie bitter
Erscheint die Freiheit mir jetzt ohne dich!
(Geht weinend hinaus.)

Martian
(kommt an die Tuer des Zimmers von Constantius)
Schlaefst du noch nicht, Constantius?

Constantius
(tritt heraus)
Wie koennt; ich
Nach all dem schlafen?

Martian
So, dann komm zu mir,
Und lasst uns diese Nacht zusammen arbeiten.

Constantius
Patron, kannst du noch arbeiten?!

Martian
Ich muss.

Beide gehen ins Tablinum, Constantius voran, setzt sich an den Tisch und bereitet die Tafeln vor.

Constantius
Ich fuerchte, dass ich jetzt schlecht schreiben werde,-
Es zittert mir die Hand.

Martian
Macht nichts. Ich kann
Schon deine Schrift entziffern. Jedenfalls,
Dann rede ich ganz anders im Gericht.
Und jetzt nur so, bloss die Gedanken klaeren,
Damit man leichter denkt.
(Setzt sich auf den Sessel.)

Constantius
(hebt den Kopf und schreit ploetzlich auf)
Mein Gott! Patron!
Du bist doch ganz ergraut!

Martian
Das ist nicht wichtig.
Schreib also, ich beginne zu diktieren.
(Diktiert.)

Constantius schreibt.
"Ihr, hohe Richter! Jetzt ich bitte euch,
Dass ihr ganz ruhig diesen Fall entscheidet,
Mit kalter Einsicht. Denn er wird ganz klar,
Wie ein Kristall durchsichtig, wenn wir ihn
Mit Hauch einer Leidenschaft nicht trueben.
Am besten laesst sich kostbarer Kristall
Beim kalten Licht betrachten..."

Constantius
(l;sst den Stilus aus seiner Hand gleiten)
Nein, verzeih mir...
Ich kann nicht mehr...

Martian
So gib den Stilus her.
Ich ende selber diese Aussage.
(Holt zu sich die Tafel und den Stilus und schreibt langsam, aber mit der festen Hand.)

24/XI 1911


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