Es entfaltet sich

Es entfaltet sich

Einmal kommt der Punkt, da sickert unweigerlich die Erkenntnis zu uns durch, dass wir ungeachtet aller Verluste, Kaempfe, Zweifel, ungeachtet aller schmerzlichen Erfahrungen doch immer noch leben. Immer noch denken, fuehlen, atmen, lieben, immer noch unsere Haende und unsere Schoepferkraft haben, und immer noch Zugang zu Schoenheit, die uns an jedem Morgenhimmel gruesst.

Immer noch im Herzen unbeschadet sind.

Manch einer fuehlt nach dem ersten Kummer eine Kuehnheit in sich aufsteigen, wenn er etwas Bedeutendes verliert, und diese Kuehnheit ist ein Aufbegehren, weil wir spaeren, dass das was wir zu besitzen glaubten, uns besass – und besetzte. Eine Idee, ein Gegenstand, eine Beziehung, ein Wollen.

Und diese Kuehnheit ist noch mehr: sie ist die Ahnung des nicht endlichen Seins, der tiefen Freiheit, die Erfahrung, dass in uns eine Instanz ist, die durch nichts beschaedigt wird. Die immer heil ist, was da auch kommt. Die in sich die evolutionaere Kraft des Universums traegt, die strebt und waechst und einen immer vollkommeneren Ausdruck ihrer selbst sucht, die zu immer klarerer Bewusstheit hinblueht.

Diese Instanz ist unser tiefstes Wesen. Unser Seelengrund.

Manch einer schlussfolgert dann: Ja, an diesem Seelengrund sind unsere irdischen Erfahrungen unbedeutend, endlich in ihrer Nichtigkeit enthuellt. Aber das ist nicht wahr, es koennte falscher kaum sein, denn gerade hier, am Seelengrund, sind all unsere menschlichen Erfahrungen geborgen und aufgehoben, und enthuellen ihre Bedeutung, die um so viel tiefer ist als wir zu traeumen wagten.

Das "wahre Sein" entfaltet sich nicht trotz menschlicher Irrungen, Aufs und Abs. Nicht jenseits davon. Es entfaltet sich darin. In meiner Geschichte. In Deiner Geschichte. Und das mehr und mehr zu begreifen und zu erfahren, weckt eine Liebe zum Leben, die den Moment wirklich umarmt. Nicht als Pflichtuebung, nicht als Verzicht auf Denken an Gestern und Morgen, sondern als natuerliche Bewegung, die gar nicht anders kann.