Wie anders koennte ich sterben!
(Nach dem Tode des jungen Maedchens von einer Krankenschwester gefunden)
Liebe Mutter!
Seit einigen Tagen kann ich nur noch eine halbe Stunde taeglich im Bett sitzen, sonst liege ich fest. Das Herz will nicht mehr. Heute frueh sagte der Professor etwas - es klang so nach‚ gefasst sein’. Worauf? Es ist sicher schwer, jung zu sterben! Gefasst muss ich darauf sein, dass ich am Wochenanfang ein Gewesener bin - und ich bin nicht gefasst. Die Schmerzen wuehlen fast unertraeglich; aber wirklich unertraeglich duenkt es mich, dass ich nicht gefasst bin. Das Schlimmste ist, wenn ich zum Himmel aufblicke, ist er finster. Es wird Nacht, aber kein Stern glaenzt ueber mir, auf den ich im Versinken blicken kuennte.
Mutter, ich war nie gottesfuerchtig; aber ich fuehle jetzt, dass da eine Macht ist, der wir in die Haende fallen, der wir antworten muessen auf alle Fragen. Und das ist meine Qual, dass ich nicht weiss, wer das ist. Wenn ich Ihn kennen wuerde!
Mutter, weisst Du noch, wie Du mit uns Kindern durch den Wald gingst, bei einbrechender Dunkelheit, dem Vater entgegen, der von der Arbeit kam? Wir liefen Dir manchmal davon und sahen uns ploetzlich allein. Schritte kamen durch die Finsternis - welche Angst vor den fremden Schritten! Welche Freude, wenn wir den Schritt erkannten als den Deinen, den der Mutter, die uns liebte. Und nun hoere ich wieder in Einsamkeit Schritte, die ich nicht kenne. Warum kenne ich sie nicht?
Du hast mir gesagt, wie ich mich kleiden muss und wie ich mich im Leben verhalten muss, wie man isst, wie man so durchs Leben kommt. Du hast fuer mich gesorgt; Du wurdest nicht muede ueber allem Sorgen. Ich erinnere mich auch, dass Du am Heiligabend mit Deinen Kindern in die Christmette gingst; auch an ein Abendgebet erinnere ich mich, das Du mir einige Male vorgesagt hast. Immer hast Du uns zur Ehrlichkeit angehalten. Aber das alles zerfaellt mir jetzt wie muerber Zunder.
Warum hast Du uns von so vielen gesagt und nicht - von Jesus Christus?
Warum hast Du mich nicht bekannt gemacht mit dem Klang seines Schrittes, dass ich merken koennte, ob Er zu mir kommt in dieser letzten Nacht und Todeseinsamkeit? Dass ich wuesste, ob der, der da auf mich wartet, ein Vater ist! Wie anders koennte ich sterben!
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