Der weisse Stein

                ... und will ihm geben einen
                weissen Stein und auf dem Stein
                einen neuen Namen geschrieben,
                welchen niemand kennt denn der
                ihn empfaengt.
                (Offenbarang, 2, 17).

Unter den blauen Steinen
taste ich ein Gebot,
die Inschrift: du sollst nicht weinen;
dein Nachbar ist hier der Tod.

Schaurige Metamorphose!
Ich frage nicht: was ist los?
Auch durch diesen Wald ging Mose,
und sein Schrift ist das Moos.

Ich kauere mich, ich kratze
die Moosmosaik ab;
unter der Tannentatze
ist mein verschollenes Grab.

Aber die Schrift verschwindet;
man sieht, und man erkennt:
wer aufersteht, ueberwindet
das alte Testament.

Mit seiner heidnischen Leier
bestaetigt der blinde Greis:
unter dem blauen Schleier
ist der Stein eigentlich weiss.

Hier weiss Bescheid nur der Same:
statt des Gebots ein Gebet.
Ich weiss schon auch, wessen Name
auf diesem Steine steht.

1995


Рецензии
in bemerkenswertes Gedicht. danke.
Vielleicht alle solche Gedichte sind unbedingt ein bisschen heidnisch...

Николай Старорусский   02.10.2012 15:31     Заявить о нарушении
Das Heidentum in der Poesie ist fuer mich eine unentbehrliche Stufe des Christentums, die Wahrheit ueber die Erde, wie Berdjaew sagt.

Владимир Микушевич   02.10.2012 23:01   Заявить о нарушении