Das Schicksal

Ich suchte dich, ahnte nicht, dass du nicht zu Hause sein koenntest. Es war bereits spaet, du hattest kein Telefon und ich konnte dir keine Nachricht hinterlassen. Es war ein schoener Tag, nein, ein schoener Abend, aber dieser Abend war anders als die anderen; es haette eine Feier gegeben, da es dein Geburtstag war. Als ich dich nicht fand, entschloss ich mich, in die Stadt zu gehen. Ich dachte: "Wenn ich zurueckkomme, wirst du schon auf mich warten." Ich kaufte Kerzen und warf sie zusammen mit einer kleinen Geburtstagskarte in deinen Briefkasten, bevor ich fortging.

Ich ging fort und betrachtete alles mit genauer Aufmerksamkeit. Ploetzlich merkte ich, dass dichter Nebel aufzog und ich konnte kaum noch etwas sehen. Dann, wie durch ein Wunder, sah ich dich. Du konntest mich nicht sehen. Ich war durchsichtig, schwebte leicht, spuerte meine Beine nicht mehr. Ich schaute hinunter und sah, dass ich keine Beine mehr hatte. Ich schwebte. Meine neue Form war keine Gestalt mehr, ich war zu einem grossen Tropfen geworden. Ich flog ueber die Stadt und alles um mich herum verlor an Bedeutung. Ich war jenseits von Gut und Boese, ich war einfach ich selbst. Es begann zu regnen.

Ich sah dich wieder. Du warst wie immer schoen, meine perfekte Haelfte, die ich so geliebt hatte, so wie du warst. Erinnerungen an unseren Oktober, an die Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, kamen zurueck. Du warst damals sehr gluecklich und ich war es auch, mit dir.

Ich weiss nicht, wie lange mein Flug dauerte, aber ich konnte jede Kleinigkeit und jede unwichtige Veraenderung an dir genau wahrnehmen. Es war, als ob ich in Zeitlupe waere. Ich bemerkte, dass du meinen Ring immer noch am linken Mittelfinger trugst. Du warst nicht allein, dein Begleiter stand etwas weiter in der dunklen Seite der Strasse und ging ins Treppenhaus, als du den Schluessel aus dem Schloss zogst. Dann wurde es um mich herum dunkel.

Ich lag bereits am Boden und der Buergersteig verbarg dich vor meinem Blick. Ich schrie, aber niemand hoerte mich. Ein Schmerz durchbohrte meine neue, ungewohnte Gestalt, ein zwanzig Tonnen schwerer LKW ueberfuhr mich. Ich war zerstreut. Ich war nicht mehr ich selbst, ich existierte nicht mehr, nur Spritzer eilten in deine Richtung. Du warst sehr veraergert, aber in diesem Moment war ich unendlich gluecklich, weil ich mich an deinen Koerper schmiegen konnte. Ich war wieder mit dir verschmolzen, genau wie frueher. Mich gab es nicht mehr.

November 1994 (ред. 2024)


Рецензии
Ну ничего себе!!! Я просто баф!!! Хочу, быть на её месте! :)
Красиво, очень красиво написанно!

Наташа Никкель   11.02.2011 17:10     Заявить о нарушении